Pallanza (Lago Maggiore)
Villa Giuseppina – Monterosso
16. Juni 1925


Lieber und verehrter Meister! 1

Zu Ihrem Geburtstage stelle ich mich zusammen mit meiner Frau als Gratulant ein, um Ihnen alles nur erdenkliche Gute zu wünschen, Segen Ihrer Arbeit und recht viel Licht und Freude Ihrem Leben.

Sie haben mir mit der Plaquette 2 ein wundervolles Geschenk gemacht, eine Kunstwerk, das uns entzückt hat und dazu ein Andenken, das an jeden Tag nur gute und erhabende Gedanken in uns erweckt. Herzlichsten Dank!

Wir wünschen, dass Sie mit Ihrer verherten Gattin in Galtür gute Erholung von Ihrer ungeheuren Arbeit finden mögen. So sehr wir bedauern, dass Sie nicht zu uns kommen – so muss ich auch wiederum gestehen: es ist sehr heiss hier, für Sie vielleicht zu heiss, um Ihnen Freude zu machen und so bleibt nur die Hoffnung auf ein anderweitiges Wiedersehen. Wie gerne wären wir einmal auf einen Sprung nach Galtür gekommen! Aber unsere Lage hat sich in mancherlei Beziehung verändert. Vielleicht kann ich allein zu einem Gespräch bei Ihnen erscheinen. Meine Frau ist gebunden; denn – hören Sie: – Vor einigen Tagen und zwar am 3. Juni ist uns ein Kind, ein Mädchen, geboren worden. Mutter und Kind befinden sich wohl; alles scheint, trotz einer unendlich schweren {2} Geburt gut zu gehen und wird auch hoffentlich weiter so bleiben. Die Monate vorher waren nicht ganz leicht; das Leben war voller Ablenkungen von der gewohnten Bahn, hat aber jetzt neue Formen, neue Reize und Ziele gewonnen. Es ist etwas da, das beschützt und behütet werden muss und das aufwachsen soll in der Welt jener Geister, die uns vorbildlich sind. Es ist nicht ganz einfach, Deutschland aus diesem Grunde immer vermeiden zu müssen, wo ja – wie die Dinge bei uns beiden nun einmal infolge der verrotteten deutschen Gesetze liegen – die Polizisten- und Richterfäuste, garnicht zu reden von dem heutigen sozialistischen Schulsÿstem, sich mit Wonne eines solchen Wesens bemächtigen würden, um unser Leben zu vergiften. Aber: wo wir sind, da ist ja Deutschland, inniger, schöner und reiner als innerhalb der schwarz-rot-gelben Grenzpfähle. Die Heimat müssen wir immer bei uns haben und wir haben sie auch.

Schreiben Sie bitte an Vrieslander nichts von dem Kinde. Er wird uns mit seiner Frau besuchen, und dann soll die Tatsache ihn überraschen wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

{3} Auf das Jahrbuch freue ich mich ausserordentlich. Wieviel erhabene Gedanken werden hier den Menschen wieder geboten werden, an denen sie sich aufrichten und befreien könnten. Mehr noch freue ich darauf, Sie selber sehen zu können. Ich rechne stark mit der Möglichkeit, nach Galtür kommen zu können, vielleicht im August und werde mich vorher anmelden[.]

Jetzt vor allem: Ihnen und Ihrer verehrten Gattin gute Erholung nach all den Strapazen! mit den herzlichsten Grüssen und Wünschen von uns beiden


Ihr dankbar ergebener
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2012


Pallanza (Lake Maggiore)
Villa Giuseppina – Monterosso
June 16, 1925


Dear and revered Master, 1

On your birthday, my wife and I offer all conceivable best wishes to you, to the blessing of your work, and to ever so much brightness and joy in your life.

The medallion 2 you gave me was a wonderful gift, an artwork that has delighted us and thereby awoken in us a remembrance of only pleasant and lofty thoughts every day. Many thanks!

We hope that you and your wife will be able to make a good recovery in Galtür from your enormous work. We regret so much to hear that you will not come to us – but I must on the other hand admit that it is very hot here, perhaps too hot for you, to be able to enjoy yourselves, and so the only hope that remains is to find some other way to see each other again. How very much we would like to come to Galtür in a heartbeat! But our position has changed in many respects. Perhaps I can only appear for a talk with you. My wife is bound; since – listen to this: – a few days ago (June 3) we had a baby girl. Mother and child are doing well; everything seems to be going well despite an endlessly difficult {2} birth, and we hope that it will remain so. The previous months have not been easy; life was full of distractions from normal work, and it has now become full of new forms, new impulses and new goals. There is something there that has to be taken care of and protected, and which should be brought up in the world in a way that we find exemplary. Because of this it is not easy to have to avoid Germany all the time, where – as things now stand with both of us as a consequence of the rotten German laws – the fist of the police and the judges, not to speak of today's socialist school system, would take hold of such a thing with pleasure, just to poison our lives. But: where we are now, this is Germany, deeper, more beautiful and purer than within the borders of the black, red, and gold. We must always keep the homeland in us and we do so.

Please do not say anything to Vrieslander about the child. He will visit us with his wife and then the fact will surprise him like a flash of lightning from the high heavens.

{3} I am looking forward eagerly to the Yearbook . So many sublime thoughts will be offered to people once again, to which they could direct themselves and liberate themselves. I look forward even more so to the chance of being able see you in person. I will work out the possibility of coming to Galtür, perhaps in August, and I will let you know beforehand.

But for now above all I wish you and your dear wife a good recovery from all the stress! With warmest greetings and wishes from both of us.


Your thankfully devoted,
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2012


Pallanza (Lago Maggiore)
Villa Giuseppina – Monterosso
16. Juni 1925


Lieber und verehrter Meister! 1

Zu Ihrem Geburtstage stelle ich mich zusammen mit meiner Frau als Gratulant ein, um Ihnen alles nur erdenkliche Gute zu wünschen, Segen Ihrer Arbeit und recht viel Licht und Freude Ihrem Leben.

Sie haben mir mit der Plaquette 2 ein wundervolles Geschenk gemacht, eine Kunstwerk, das uns entzückt hat und dazu ein Andenken, das an jeden Tag nur gute und erhabende Gedanken in uns erweckt. Herzlichsten Dank!

Wir wünschen, dass Sie mit Ihrer verherten Gattin in Galtür gute Erholung von Ihrer ungeheuren Arbeit finden mögen. So sehr wir bedauern, dass Sie nicht zu uns kommen – so muss ich auch wiederum gestehen: es ist sehr heiss hier, für Sie vielleicht zu heiss, um Ihnen Freude zu machen und so bleibt nur die Hoffnung auf ein anderweitiges Wiedersehen. Wie gerne wären wir einmal auf einen Sprung nach Galtür gekommen! Aber unsere Lage hat sich in mancherlei Beziehung verändert. Vielleicht kann ich allein zu einem Gespräch bei Ihnen erscheinen. Meine Frau ist gebunden; denn – hören Sie: – Vor einigen Tagen und zwar am 3. Juni ist uns ein Kind, ein Mädchen, geboren worden. Mutter und Kind befinden sich wohl; alles scheint, trotz einer unendlich schweren {2} Geburt gut zu gehen und wird auch hoffentlich weiter so bleiben. Die Monate vorher waren nicht ganz leicht; das Leben war voller Ablenkungen von der gewohnten Bahn, hat aber jetzt neue Formen, neue Reize und Ziele gewonnen. Es ist etwas da, das beschützt und behütet werden muss und das aufwachsen soll in der Welt jener Geister, die uns vorbildlich sind. Es ist nicht ganz einfach, Deutschland aus diesem Grunde immer vermeiden zu müssen, wo ja – wie die Dinge bei uns beiden nun einmal infolge der verrotteten deutschen Gesetze liegen – die Polizisten- und Richterfäuste, garnicht zu reden von dem heutigen sozialistischen Schulsÿstem, sich mit Wonne eines solchen Wesens bemächtigen würden, um unser Leben zu vergiften. Aber: wo wir sind, da ist ja Deutschland, inniger, schöner und reiner als innerhalb der schwarz-rot-gelben Grenzpfähle. Die Heimat müssen wir immer bei uns haben und wir haben sie auch.

Schreiben Sie bitte an Vrieslander nichts von dem Kinde. Er wird uns mit seiner Frau besuchen, und dann soll die Tatsache ihn überraschen wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

{3} Auf das Jahrbuch freue ich mich ausserordentlich. Wieviel erhabene Gedanken werden hier den Menschen wieder geboten werden, an denen sie sich aufrichten und befreien könnten. Mehr noch freue ich darauf, Sie selber sehen zu können. Ich rechne stark mit der Möglichkeit, nach Galtür kommen zu können, vielleicht im August und werde mich vorher anmelden[.]

Jetzt vor allem: Ihnen und Ihrer verehrten Gattin gute Erholung nach all den Strapazen! mit den herzlichsten Grüssen und Wünschen von uns beiden


Ihr dankbar ergebener
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2012


Pallanza (Lake Maggiore)
Villa Giuseppina – Monterosso
June 16, 1925


Dear and revered Master, 1

On your birthday, my wife and I offer all conceivable best wishes to you, to the blessing of your work, and to ever so much brightness and joy in your life.

The medallion 2 you gave me was a wonderful gift, an artwork that has delighted us and thereby awoken in us a remembrance of only pleasant and lofty thoughts every day. Many thanks!

We hope that you and your wife will be able to make a good recovery in Galtür from your enormous work. We regret so much to hear that you will not come to us – but I must on the other hand admit that it is very hot here, perhaps too hot for you, to be able to enjoy yourselves, and so the only hope that remains is to find some other way to see each other again. How very much we would like to come to Galtür in a heartbeat! But our position has changed in many respects. Perhaps I can only appear for a talk with you. My wife is bound; since – listen to this: – a few days ago (June 3) we had a baby girl. Mother and child are doing well; everything seems to be going well despite an endlessly difficult {2} birth, and we hope that it will remain so. The previous months have not been easy; life was full of distractions from normal work, and it has now become full of new forms, new impulses and new goals. There is something there that has to be taken care of and protected, and which should be brought up in the world in a way that we find exemplary. Because of this it is not easy to have to avoid Germany all the time, where – as things now stand with both of us as a consequence of the rotten German laws – the fist of the police and the judges, not to speak of today's socialist school system, would take hold of such a thing with pleasure, just to poison our lives. But: where we are now, this is Germany, deeper, more beautiful and purer than within the borders of the black, red, and gold. We must always keep the homeland in us and we do so.

Please do not say anything to Vrieslander about the child. He will visit us with his wife and then the fact will surprise him like a flash of lightning from the high heavens.

{3} I am looking forward eagerly to the Yearbook . So many sublime thoughts will be offered to people once again, to which they could direct themselves and liberate themselves. I look forward even more so to the chance of being able see you in person. I will work out the possibility of coming to Galtür, perhaps in August, and I will let you know beforehand.

But for now above all I wish you and your dear wife a good recovery from all the stress! With warmest greetings and wishes from both of us.


Your thankfully devoted,
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2012

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/7, p. 2834, June 28, 1925: "Ich treffe hier einen Brief von Dahms an: er berichtet von der Geburt eines Mädchens; hofft kommen zu können." ("I find a letter from Dahms waiting for us: he reports on the birth of a girl; hopes to be able to come.").

2 Sending of the medallion is recorded in Schenker's diary at OJ 3/7, p. 2828, June 13, 1925: "An Dahms Brief als Beilage zur Plaquette: über Rothberger u. Hammer; hellerer Ausblick seit Hindenburg; Thomas Manns Stellungnahme gegen die „zweideutige Musik“; Bach-Büchlein im Jahrbuch; nehme die Einladung grundsätzlich an. ("[Work] on Dahms's letter as enclosure with medallion: about Rothberger and Hammer; brighter outlook since Hindenburg; Thomas Mann's position against "ambiguous music"; Bach booklet in the Yearbook; I accept the invitation in principle."). On the medallion, see Alfred Rothberger.