Grundlsee, 14. Sept. 32.

Lieber Meister, 1

vor allem meine herzlichsten Glückwünsche und den Ausdruck aufrichtiger Freude über die Fertigstellung des Freien Satzes. 2 Wie sehr ich auf dieses alles krönende Werk gespannt bin, brauch ich wohl nicht erst zu betonen.

Infolge der Ihnen bekannten Passunannehmlichkeiten war mir sehr wenig Zeit übrig geblieben für meine eigene Arbeit. Ich musste mich von Anfang August an ganz auf mich selbst konzentrieren und darunter litt mein Verkehr mit der Aussenwelt. Oft bedrückte mich der Gedanke, dass Sie mein Schweigen als Zeichen von Teilnahmslosigkeit auslegen könnte und ich bin mir bewusst, dass ich[,] dem äussern Schein nach wenigstens, Ihnen diesen Sommer über manches schuldig blieb. 3

Ich habe nun doch auch wieder meinen persönlichen Beitrag zur gemeinsamen Sache liefern dürfen und bin sehr froh, Ihnen mitteilen zu können, das ich vergangenen Sonntag eine Klavier-Violin Sonate fertiggestellt habe, von der ich getrost sagen darf, dass sie der Sache, die wir vertreten[,] bestimmt nur alle Ehre machen wird. Es war nicht leicht angesichts der durch die Mitnahme von Frau und Kindern bedeutend komplizierten Reise die innere Sammlung und Ausgeglichenheit zu bewahren, die zur schöpferischen {2} Arbeit nötig ist und so bedeutet mir die Vollendung des Werkes nicht blos einen künstlerischen sondern auch einen moralischen Erfolg. Die Sonate ist im Stil meiner Ihnen gewidmeten Stücke 4 gehalten, neigt also mehr zur Bachischen Setzweise. Mir persönlich war das klangliche Missverhältnis zwischen Klavier und Violine besonders in den Brahms Sonaten immer ein Unding und so habe ich mich denn bemüht, bei Beibehaltung von Ausdruck und Lebendigkeit, die Setzweise so viel als möglich zum Vorteile der Gesamtklangwirkung zu verdünnen. Wie weit mir das gelungen ist, werde ich in New York [,] wo mir die verschiedensten Aufführungsmöglichkeiten zu Gebote stehen, festzustellen bald Gelegenheit finden.

Zum Studium der so schönen Tafeln 5 werde ich also erst in der nächsten Zeit die nötige Sammlung finden. Über deren Erfolg und Verbreitung werde ich Sie immer im Laufenden erhalten. Das Materielle hoffe ich in Bälde vollkommen zu Ihrer Zufriedenheit erledigen zu können.

Wollten Sie mir noch ein Wort an die Hamburg-Amerika Linie, Hamburg, als Passagier der „Milwaukee“ schicken, um mir die Beruhigung zu geben dass Sie mein sommerliches „Passivschein“ nicht missverstanden oder zumindest jetzt verstanden haben, damit würden Sie mich besonders erfreuen. Wir fahren von Hamburg am 18. Sept. ab und treffen am 28. Sept. in New York ein. Meine neue Adresse läutet: 1 W 64th Street, New York. 6

Ihnen beiden von uns die besten Wünsche für den Winter und erfolgreichstes Gelingen aller Vor- und Endarbeiten am Freien Satz.


Herzlichst Ihr
[signed:] Hans.

© Transcription William Drabkin, 2008



Grundlsee, September 14, 1932

Dear Master, 1

First of all, my most heartfealt congratulations and the expression of my sincere joy on your completion of Free Composition . 2 How eager I am to see this all-crowning work is something I probably don't need to stress.

On account of the troubles with my passport, of which you are aware, there was very little time left over for my own work. From the beginning of August onwards, I had to concentrate entirely on myself, and my relationship to the outside world suffered as a result. I was often afflicted by the thought that you might interpret my silence as a sign of indifference, and I am conscious that, at least with regard to outward appearances, I owed you much this summer. 3

But I have now been permitted to present my personal contribution to our common cause, and it gives me great pleasure to be able to inform you that, last Sunday, I completed a sonata for violin and piano which, I can honestly say, will surely bring nothing but honor to that cause. It was not easy, as the trip was significantly more complicated by my having to bring wife and children with me, for me to preserve the inner composure and sense of balance that is necessary for creative {2} work. Thus the completion of this piece is not merely an artistic success but a moral triumph as well. The sonata remains in the style of the pieces I dedicated to you, 4 thus it inclines more towards Bachian textures. Personally, I thought that the sonorous mismatch between violin and piano, especially in the Brahms sonatas, a constant annoyance, and so I have taken considerable trouble to thin the texture as much as possible, to the advantage of the overall sonorous effect, without compromising expression or animation. How far I have succeeded is something that I will soon have occasion to determine in New York, where a variety of possibilities for performance are at my disposal.

I shall therefore be able to find the necessary composure to study the very beautiful analytical graphs 5 only in the coming days. I shall keep you constantly informed about their success and transmission. I hope I shall soon be able to sort out financial matters to your complete satisfaction.

Were you to send me another line, care of the Hamburg-America Line in Hamburg, as a passenger on the Milwaukee, to assure me that you have not misunderstood my "passivity" this summer, or that you have at least understood it, you would give me special pleasure. We are leaving Hamburg on September 18 and arriving in New York on September 28. My new address is as follows: 1 West 64th Street, New York. 6

To the two of you, best wishes from us for the winter and for the most triumphant success in all preliminary and concluding work on Free Composition .


Most cordially, your
[signed:] Hans.

© Translation William Drabkin, 2008



Grundlsee, 14. Sept. 32.

Lieber Meister, 1

vor allem meine herzlichsten Glückwünsche und den Ausdruck aufrichtiger Freude über die Fertigstellung des Freien Satzes. 2 Wie sehr ich auf dieses alles krönende Werk gespannt bin, brauch ich wohl nicht erst zu betonen.

Infolge der Ihnen bekannten Passunannehmlichkeiten war mir sehr wenig Zeit übrig geblieben für meine eigene Arbeit. Ich musste mich von Anfang August an ganz auf mich selbst konzentrieren und darunter litt mein Verkehr mit der Aussenwelt. Oft bedrückte mich der Gedanke, dass Sie mein Schweigen als Zeichen von Teilnahmslosigkeit auslegen könnte und ich bin mir bewusst, dass ich[,] dem äussern Schein nach wenigstens, Ihnen diesen Sommer über manches schuldig blieb. 3

Ich habe nun doch auch wieder meinen persönlichen Beitrag zur gemeinsamen Sache liefern dürfen und bin sehr froh, Ihnen mitteilen zu können, das ich vergangenen Sonntag eine Klavier-Violin Sonate fertiggestellt habe, von der ich getrost sagen darf, dass sie der Sache, die wir vertreten[,] bestimmt nur alle Ehre machen wird. Es war nicht leicht angesichts der durch die Mitnahme von Frau und Kindern bedeutend komplizierten Reise die innere Sammlung und Ausgeglichenheit zu bewahren, die zur schöpferischen {2} Arbeit nötig ist und so bedeutet mir die Vollendung des Werkes nicht blos einen künstlerischen sondern auch einen moralischen Erfolg. Die Sonate ist im Stil meiner Ihnen gewidmeten Stücke 4 gehalten, neigt also mehr zur Bachischen Setzweise. Mir persönlich war das klangliche Missverhältnis zwischen Klavier und Violine besonders in den Brahms Sonaten immer ein Unding und so habe ich mich denn bemüht, bei Beibehaltung von Ausdruck und Lebendigkeit, die Setzweise so viel als möglich zum Vorteile der Gesamtklangwirkung zu verdünnen. Wie weit mir das gelungen ist, werde ich in New York [,] wo mir die verschiedensten Aufführungsmöglichkeiten zu Gebote stehen, festzustellen bald Gelegenheit finden.

Zum Studium der so schönen Tafeln 5 werde ich also erst in der nächsten Zeit die nötige Sammlung finden. Über deren Erfolg und Verbreitung werde ich Sie immer im Laufenden erhalten. Das Materielle hoffe ich in Bälde vollkommen zu Ihrer Zufriedenheit erledigen zu können.

Wollten Sie mir noch ein Wort an die Hamburg-Amerika Linie, Hamburg, als Passagier der „Milwaukee“ schicken, um mir die Beruhigung zu geben dass Sie mein sommerliches „Passivschein“ nicht missverstanden oder zumindest jetzt verstanden haben, damit würden Sie mich besonders erfreuen. Wir fahren von Hamburg am 18. Sept. ab und treffen am 28. Sept. in New York ein. Meine neue Adresse läutet: 1 W 64th Street, New York. 6

Ihnen beiden von uns die besten Wünsche für den Winter und erfolgreichstes Gelingen aller Vor- und Endarbeiten am Freien Satz.


Herzlichst Ihr
[signed:] Hans.

© Transcription William Drabkin, 2008



Grundlsee, September 14, 1932

Dear Master, 1

First of all, my most heartfealt congratulations and the expression of my sincere joy on your completion of Free Composition . 2 How eager I am to see this all-crowning work is something I probably don't need to stress.

On account of the troubles with my passport, of which you are aware, there was very little time left over for my own work. From the beginning of August onwards, I had to concentrate entirely on myself, and my relationship to the outside world suffered as a result. I was often afflicted by the thought that you might interpret my silence as a sign of indifference, and I am conscious that, at least with regard to outward appearances, I owed you much this summer. 3

But I have now been permitted to present my personal contribution to our common cause, and it gives me great pleasure to be able to inform you that, last Sunday, I completed a sonata for violin and piano which, I can honestly say, will surely bring nothing but honor to that cause. It was not easy, as the trip was significantly more complicated by my having to bring wife and children with me, for me to preserve the inner composure and sense of balance that is necessary for creative {2} work. Thus the completion of this piece is not merely an artistic success but a moral triumph as well. The sonata remains in the style of the pieces I dedicated to you, 4 thus it inclines more towards Bachian textures. Personally, I thought that the sonorous mismatch between violin and piano, especially in the Brahms sonatas, a constant annoyance, and so I have taken considerable trouble to thin the texture as much as possible, to the advantage of the overall sonorous effect, without compromising expression or animation. How far I have succeeded is something that I will soon have occasion to determine in New York, where a variety of possibilities for performance are at my disposal.

I shall therefore be able to find the necessary composure to study the very beautiful analytical graphs 5 only in the coming days. I shall keep you constantly informed about their success and transmission. I hope I shall soon be able to sort out financial matters to your complete satisfaction.

Were you to send me another line, care of the Hamburg-America Line in Hamburg, as a passenger on the Milwaukee, to assure me that you have not misunderstood my "passivity" this summer, or that you have at least understood it, you would give me special pleasure. We are leaving Hamburg on September 18 and arriving in New York on September 28. My new address is as follows: 1 West 64th Street, New York. 6

To the two of you, best wishes from us for the winter and for the most triumphant success in all preliminary and concluding work on Free Composition .


Most cordially, your
[signed:] Hans.

© Translation William Drabkin, 2008

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diay at OJ 4/5, p. 3772, September 15, 1932: "Von Weisse (Br.): Glückwünsche zur Fertigstellung des freien Satzes; hat eine Klavier-Violin Sonate komponirt (gegen Brahms! was für eine Originalitätssucht!); entschuldigt sein langes Schweigen, erbittet eine Nachricht auf sein Schiff – neue Adresse." ("From Weisse (letter): best wishes for the completion of Free Composition; he has composed a sonata for piano and violin (contra Brahms! what a craving for originality!); he apologizes for his long silence, asks for news to be sent to his ship – new address.").

2 From Weisse's previous letters, one can infer that Schenker had expected to complete Der freie Satz by the spring of 1931. Even so, a further two years were to elapse before he was able to correct the proofs, and the work was not published until 1935.

3 No paragraph-break at this point in the original.

4 A set of three-voice piano pieces, which Weisse dedicated to Schenker as a farewell present.

5 i.e. the Fünf Urlinie-Tafeln / Five Analyses in Sketchform . Schenker's Foreword in the published edition is dated August 1932; and Weisse is probably looking at a proof copy.

6 This address has been boxed, in pencil, probably by Schenker.