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OJ 6/7, [35] - Handwritten letter from Schenker to Violin, dated August 5, 1927
Zunächst sei dem Frl. Fanny für ihre l. Karte 2 herzlichst gedankt, – immerhin ein Lebenszeichen u. ein Bericht. Ich möchte aber gern noch mehr wissen: Es hieß ja daß du auf Ferien gehst. wirst du fort oder nicht? Wenn nicht, wegen des l. Karli oder wegen Geldmangels? Ich brauche dir nicht zu sagen, wie nötig auch für dich eine Erholung ist. Vielleicht kommst du um die Weichnachtszeit [sic] nach Wien, wie du es (wenn ich nicht irre) im Vorjahre plantest? Und wie steht es mit der gewissen Angelegenheit? In den Blättern finde ich noch gar nichts. Könnte nicht auch Schönberg im Ministerium ein Wort sagen? Er führt ja (so sonderbar es auch ist) das große Wort u. ich zweifle nicht, daß er für dich eintritt. Vielleicht bedient {2} er sich einer Mittelperson. Übrigens: hier war Ende Juli Prof. Oppel (bisher in Kiel) zu Besuch; er wurde, trotzdem er schon 48 Jahre zählt, an das Konservatorium in Leipzig berufen, wo er alle Theorie-Fächer lehren wird (nebenbei: nach meinen Bänden). Allerdings ist das Leipziger Cons. keine staatliche Hochschule (oder?), doch fällt mir auf daß das Alter kein Hinderniß war. Oppel übersiedelt nach Leipzig (6000 MK Gehalt) u. verspricht sich Privatstunden. Er wird mich End Dez. in Wien besuchen, u da um diese Zeit auch Vrieslander noch in Wien sein dürfte, so könnte es ja ganz lustig werden, wenn auch du kämst. Die Ereignisse in Wien haben mich entsetzt. 3 Wer weiß, wie sie sich noch auswirken werden. Jedenfalls bedeuten sie einen Schritt näher dem Abgrund. Die Deutschen stürzen rasch, die Deutschen überhaupt meine ich, – in weniger als 10 Jahren wird das Juden-Schicksal auf jeder deutschen Stirn genau so zu lesen sein, wie auf jeder d jüdischen Stirn. Sie zanken um {3} Luther, sie zanken um Marx u. Lenin, um Krieg oder Frieden, usw. u. merken nicht, daß ihnen die menschenfresserischen Völker Land u. Menschen aus dem Leibe reißen. Sie opfern sich für jeden „Fortschritt“, für jedes Volk, u. merken nicht, daß sie gestorben sind, daß an ihnen fortgesetzt Leichenschändung getrieben wird. Wenn zum ersten Ahasver noch ein zweiter sich gesellt, dann ist es um diese Legende getan. Man weiß, wie es zugeht: Mangel an Stolz auf die Heimat, die eigene Religion, die eigene Kunst, ein ewiges Nachlaufen minderwertigen Pack gegenüber. Ich stehe vor dem Imprimatur schon einen Monat, u. warte noch immer vergebens. In diesen Tagen hatte ich das Jb. II endlich der Buchbinderei übergeben zu können. Im September dürfte des ausgegeben werden. (Inzwischen arbeite ich am „Freien Satz“). {4} Uns stehen noch einige Besuche hier bevor. Schade aber, daß du nicht gekommen bist [corr]! Z.B. ein Tag, wie der heute, würde dich für ein ½ Jahr gesund machen, so wohltätig schön ist er, eine erste Sommer-Schönheit erseten Ranges. Entschließe dich, bitte, zu ein paar Zeilen eines Berichtes darüber, wie es um dich u. all die l. deinen steht. Mit großer Freude nahmen wir den immerhin günstigen Bericht deiner Schwester über den l. Karli zur Kenntnis. O, ich begreife den Jungen, wie er sich von dem Ort seines Verderbens fortsehnt u. nach einem weicherem Ort hin. © Transcription William Drabkin, 2013 |
First of all, most cordial thanks to Fanny for her lovely postcard 2 – at least, a sign of life and a report. But I should like to know still more. It says that you are going on holiday: are you going away or not? If not, on account of your dear son Karl or on account of financial hardship? I need not tell you how important a period of recovery is, for you too. Perhaps you will come to Vienna over the Christmas holidays, as (if I am not mistaken) you had planned the year before. And how do things stand with that certain matter: in the newspapers, I can still find nothing at all. Could not Schoenberg, too, put in a word for you at the Ministry. His words carry a lot of weight (as strange as they are), and I do not doubt that he would support your cause. Perhaps he could avail himself {2} of a go-between. Moreover: at the end of July, Prof. Oppel (until now in Kiel) was visiting us here; in spite of being already 48 years old, he has been appointed to the Conservatory in Leipzig , where he will teach all branches of music theory (by the way: on the basis of my books). Admittedly, the Leipzig Conservatory is not a state Hochschule (or is it?), but I am struck by the fact that his age was not an obstacle. Oppel is moving to Leipzig (salary of 6000 marks) and promises himself private lessons [with me]. He will visit me in Vienna at the end of December; and since Vrieslander is also supposed to be still in Vienna around this time, it could be most delightful if you were to come, too. The events in Veinna have shocked me. 3 Who knows how things will turn out as a result. In any event, they signify one step closer to the abyss. The Germans are sinking quickly, I refer to the Germans in general – in less than ten years one will be able to read the fate of the Jews on the brow of every German, just as on the brow of every Jew. They quarrel over {3} Luther, they quarrel over Marx and Lenin, over war and peace, etc., and do not observe that the cannibalistic peoples are tearing land and people from their body. They sacrifice themselves for every "progress," for every people, and do not observe that they are dead, that the desecration of corpses continues to be perpetrated upon them. If to a first Ahasuerus a second is joined, then it is done for sake of this legend. One knows how it will proceed: lack of pride in one's country, one's own religion, one's own art, an eternal chase after an inferior pack. I have been awaiting the imprimatur for a month already, and am still waiting in vain. In the last few days I was finally able to hand over the second Yearbook to the bookbinder. In September it is supposed to be published. (In the meantime, I am working on Der freie Satz .) {4} We are still expecting a few visitors here. A pity, though, that you did not come[corr]! For example, a day like today would make you healthy for half a year, as it is so beneficently beautiful here, a summer beauty of the first rank. Please resolve to write a few lines of a report on how things are with you and all your loved ones. It was with great pleasure that we received the report – at least a favorable one – from your sister concerning dear little Karl. Oh, I can understand how the boy is yearning to leave the place of his ruin and wants to get to a more tender land. © Translation William Drabkin, 2013 |
Zunächst sei dem Frl. Fanny für ihre l. Karte 2 herzlichst gedankt, – immerhin ein Lebenszeichen u. ein Bericht. Ich möchte aber gern noch mehr wissen: Es hieß ja daß du auf Ferien gehst. wirst du fort oder nicht? Wenn nicht, wegen des l. Karli oder wegen Geldmangels? Ich brauche dir nicht zu sagen, wie nötig auch für dich eine Erholung ist. Vielleicht kommst du um die Weichnachtszeit [sic] nach Wien, wie du es (wenn ich nicht irre) im Vorjahre plantest? Und wie steht es mit der gewissen Angelegenheit? In den Blättern finde ich noch gar nichts. Könnte nicht auch Schönberg im Ministerium ein Wort sagen? Er führt ja (so sonderbar es auch ist) das große Wort u. ich zweifle nicht, daß er für dich eintritt. Vielleicht bedient {2} er sich einer Mittelperson. Übrigens: hier war Ende Juli Prof. Oppel (bisher in Kiel) zu Besuch; er wurde, trotzdem er schon 48 Jahre zählt, an das Konservatorium in Leipzig berufen, wo er alle Theorie-Fächer lehren wird (nebenbei: nach meinen Bänden). Allerdings ist das Leipziger Cons. keine staatliche Hochschule (oder?), doch fällt mir auf daß das Alter kein Hinderniß war. Oppel übersiedelt nach Leipzig (6000 MK Gehalt) u. verspricht sich Privatstunden. Er wird mich End Dez. in Wien besuchen, u da um diese Zeit auch Vrieslander noch in Wien sein dürfte, so könnte es ja ganz lustig werden, wenn auch du kämst. Die Ereignisse in Wien haben mich entsetzt. 3 Wer weiß, wie sie sich noch auswirken werden. Jedenfalls bedeuten sie einen Schritt näher dem Abgrund. Die Deutschen stürzen rasch, die Deutschen überhaupt meine ich, – in weniger als 10 Jahren wird das Juden-Schicksal auf jeder deutschen Stirn genau so zu lesen sein, wie auf jeder d jüdischen Stirn. Sie zanken um {3} Luther, sie zanken um Marx u. Lenin, um Krieg oder Frieden, usw. u. merken nicht, daß ihnen die menschenfresserischen Völker Land u. Menschen aus dem Leibe reißen. Sie opfern sich für jeden „Fortschritt“, für jedes Volk, u. merken nicht, daß sie gestorben sind, daß an ihnen fortgesetzt Leichenschändung getrieben wird. Wenn zum ersten Ahasver noch ein zweiter sich gesellt, dann ist es um diese Legende getan. Man weiß, wie es zugeht: Mangel an Stolz auf die Heimat, die eigene Religion, die eigene Kunst, ein ewiges Nachlaufen minderwertigen Pack gegenüber. Ich stehe vor dem Imprimatur schon einen Monat, u. warte noch immer vergebens. In diesen Tagen hatte ich das Jb. II endlich der Buchbinderei übergeben zu können. Im September dürfte des ausgegeben werden. (Inzwischen arbeite ich am „Freien Satz“). {4} Uns stehen noch einige Besuche hier bevor. Schade aber, daß du nicht gekommen bist [corr]! Z.B. ein Tag, wie der heute, würde dich für ein ½ Jahr gesund machen, so wohltätig schön ist er, eine erste Sommer-Schönheit erseten Ranges. Entschließe dich, bitte, zu ein paar Zeilen eines Berichtes darüber, wie es um dich u. all die l. deinen steht. Mit großer Freude nahmen wir den immerhin günstigen Bericht deiner Schwester über den l. Karli zur Kenntnis. O, ich begreife den Jungen, wie er sich von dem Ort seines Verderbens fortsehnt u. nach einem weicherem Ort hin. © Transcription William Drabkin, 2013 |
First of all, most cordial thanks to Fanny for her lovely postcard 2 – at least, a sign of life and a report. But I should like to know still more. It says that you are going on holiday: are you going away or not? If not, on account of your dear son Karl or on account of financial hardship? I need not tell you how important a period of recovery is, for you too. Perhaps you will come to Vienna over the Christmas holidays, as (if I am not mistaken) you had planned the year before. And how do things stand with that certain matter: in the newspapers, I can still find nothing at all. Could not Schoenberg, too, put in a word for you at the Ministry. His words carry a lot of weight (as strange as they are), and I do not doubt that he would support your cause. Perhaps he could avail himself {2} of a go-between. Moreover: at the end of July, Prof. Oppel (until now in Kiel) was visiting us here; in spite of being already 48 years old, he has been appointed to the Conservatory in Leipzig , where he will teach all branches of music theory (by the way: on the basis of my books). Admittedly, the Leipzig Conservatory is not a state Hochschule (or is it?), but I am struck by the fact that his age was not an obstacle. Oppel is moving to Leipzig (salary of 6000 marks) and promises himself private lessons [with me]. He will visit me in Vienna at the end of December; and since Vrieslander is also supposed to be still in Vienna around this time, it could be most delightful if you were to come, too. The events in Veinna have shocked me. 3 Who knows how things will turn out as a result. In any event, they signify one step closer to the abyss. The Germans are sinking quickly, I refer to the Germans in general – in less than ten years one will be able to read the fate of the Jews on the brow of every German, just as on the brow of every Jew. They quarrel over {3} Luther, they quarrel over Marx and Lenin, over war and peace, etc., and do not observe that the cannibalistic peoples are tearing land and people from their body. They sacrifice themselves for every "progress," for every people, and do not observe that they are dead, that the desecration of corpses continues to be perpetrated upon them. If to a first Ahasuerus a second is joined, then it is done for sake of this legend. One knows how it will proceed: lack of pride in one's country, one's own religion, one's own art, an eternal chase after an inferior pack. I have been awaiting the imprimatur for a month already, and am still waiting in vain. In the last few days I was finally able to hand over the second Yearbook to the bookbinder. In September it is supposed to be published. (In the meantime, I am working on Der freie Satz .) {4} We are still expecting a few visitors here. A pity, though, that you did not come[corr]! For example, a day like today would make you healthy for half a year, as it is so beneficently beautiful here, a summer beauty of the first rank. Please resolve to write a few lines of a report on how things are with you and all your loved ones. It was with great pleasure that we received the report – at least a favorable one – from your sister concerning dear little Karl. Oh, I can understand how the boy is yearning to leave the place of his ruin and wants to get to a more tender land. © Translation William Drabkin, 2013 |
Footnotes1 Writing of this letter is not recorded in Schenker's diary. 2 Not known to survive, recorded in Schenker's diary at OJ 3/9, p. 3097 (August 3, 1927): "Von Fanny Violin (Ansichtsk.): Grüße aus Hamburg u. kurzer Bericht über das Haus" ("From Fanny Violin (picture postcard): greetings from Hamburg and short report on the family.") 3 The so-called "July Revolt." On July 27, 1927, a day on which the city of Vienna came to a standstill as a result of industrial action, civil unrest boiled over and the Palace of Justice was set on fire by demonstrators seeking vengeance for the acquittal earlier that month of three right-wing "Frontkämpfer" accused of murder during a disturbance in the village of Schattendorf in Burgenland at the beginning of the year. To quell the uprising, the police fired into the crowd, killing 89 demonstrators. |