6. X. 16 Sehr warm, bis 15°; bedeckter aber freundlicher Himmel!
— Fr. Deutsch begleitet uns nur zu Tisch; sie erklärt, daß der ihrer Kur die stark gewürzten Speisen widerstreben, die man im Gasthaus an fleischlosen Tagen zu essen bekommt; bietet uns Mehl oder Grieß an, selbstverständlich gegen Mehlkarte u. rät endlich recht viel kondensierte Milch aufzuhäufen. — — Im Caféhaus erreicht uns eine telephonische Verständigung, daß wir gegen ½6h von Wilhelm u. Dodi in der linken Wienzeile N.o 118 Thür 16 erwartet werden. Ich gestehe, daß ich davon zunächst mehr betroffen als erfreut war; war geschah es doch das erstemal überhaupt, daß Wilhelm, in Wien weilend, spontan ein Widersehen mit mir herbeigeführt hat. Ich machte mir allerhand traurige Gedanken nach verschiedenen Richtungen hin, so z. B. wegen der Mutter, der Einstellung des Monatsgehaltes von Mošio u. dgl. m. Desto angenehmer gestaltete sich um ½6h die Begegnung, die durchwegs nur Erfreuliches brachte. Die Gelegenheit, daß Wilhelm wegen einer Arztenstellung [sic] nach Vöslau zu fahren hatte, nahmen er sowie u. Dodi wahr, um in Wien einen Tag zu bleiben u. mir meinem uns unseren W uünschen gemäß Eier u. Spitzen für Lie-Liechen mitzubringen. Dodi erzählte unter anderem, daß die Mama, nachdem ihr mein Brief vorgelesen worden, plötzlich aus dem Hause verschwand, zum großen Entsetzen aller Hausleute; es stellte sich dann heraus, daß sie allein zu Reichmanns gegangen, einen Weg, der für ihre hohen Jahre als ungewöhnlich lang u. weit zu bezeichnen ist, um den Kaufmann zu bitten, mir Eier nach Wien zu schicken. Dodi mußte alle Ueberzeugung u. Schärfe aufwenden, um der Mama die volle Sicherheit zu geben, daß sie mir ja ohnehin Eier schicken werde. – Es wurde für Abend zwischen 9–10h ein Rendezvous in einem an der Franz-Josef-Bahn gelegenem Caféhaus verabredet, wo wir die Eier abzuholen hatten. Inzwischen hielt ich die Stunde mit Brünauer ab u. Lie-Liechen kehrte heim. — , um das Abendessen zu bereiten. *{457} Brünauer wäre bereit, an Fr. Deutsch Chokolade u. ähnliche Waren sogar zu billigerem Preis abzugeben, wenn sie umgekehrt bei ihrem Bruder 1 durchsetzen könnte, wenn daß er an seine Fabrikarbeiter Brot, natürlich gegen Marke, liefer ne, u. so wodurch den Arbeitern das mühsame Anstellen erspare nt wollte bliebe. — — Nach der Stunde u. dem Abendessen fuhren wir in das uns bezeichnete Caféhaus, wo sich außer Wilhelm u. Dodi schließlich noch Demajo Herr de Majo u. Herr u. Frau von Grueber zusammentrafen. Wilhelm holte aus dem Hotel die Eier, die er uns übergab, 64 Stück! Für Herrn Demajo brachte er ein großes Stück Butter, etwa 2½–3kg. Manchen Einblick in die sowohl mir als Lie-Liechen denn doch ganz verborgenen Praktiken der Geschäftswelt konnten wir immerhin auch bei dieser Gelegenheit wieder machen. Am charakteristischsten war wohl die Wahrnehmung, daß die Kaufleute selbst den gegenwärtigen Zustand als nur durch überflüssigen Wucher hervorgerufen bezeichnen. Es ist auch damit offenbar genau so wie mit der Presse, die täglich von der „Käuflichkeit einer gewissen Presse“ spricht u. dabei immer nur eine andere als u. niemals sich selbst damit meint. Herr u. Frau v. Grueber waren u. blieben uns ein Rätsel; niemals hörte ich jenen Namen, Charakter u. Beschäftigung sind uns ebenfalls sowenig je nicht angeführt worden u. doch sch ieeinen sie beide oder mindestens die Frau öfter in Kautzen zu Gast zu sein, wie umgekehrt Dodi u. Wilhelm bei ihnen in Wien absteigen. Vermutlich sind es Geschäftsbeziehungen, denn in dieser Welt der Kaufleute erweist sich wiederum das Geschäft dicker als Blut! Recht spät, nach 11h, fuhren wir endlich heim, unerwartet mit kostbarer Fracht beladen. Mit uns fuhr noch Herr Demajo ein Stück Weges u. wir konnten Zeugen eines sehr lobenswerten Betragens d esieses Kaufmannes sein: Gleichzeitig mit uns stieg nämlich an der Bahn eine mehrköpfige Familie ein, eine junge Mutter mit einem ganz kleinen u. zwei größeren Kindern u. einem Mädchen, das vielleicht Schwester des Mannes war. Alles an ihnen verriet, daß sie eine weite Reise gemacht haben, sehr arm u. vielleicht Flüchtlinge waren: Herr Demajo hat sich sofort um die Familie bemüht, sie nach der Herkunft u. dem Rei- {458} seziel gefragt; er gab alle wünschenswerten Auskünfte u. schenkte den armen Leuten 4 Kronen. Es stellte sich heraus, daß die Familie aus Westphalen kam u. nach Trifa uil (Steiermark) gieng. *Ehekontor – de rs Kaufmann s; zeugt Kinder u. vertreibt sie auch nach kaufmännischen Prinzipen . . *Die Hauptnahrung für des Menschen Seele ist die eigene Leistung; sie allein bringt Freude u. nachhaltige Wirkung. Es Wie sich wie in den Gliedern des Organismus der Ruf nach physischer Betätigung birgt, ähnlich in der Seele ein Ruf nach psychischer. Und wie der Mensch dauernd in Mißstimmung u. Krankheit ger aäten würde, wenn er den Gebrauch seiner Glieder vernachlässige nt oder gar ganz einstelle nt wollte, während da er doch alle seine Freuden umgekehrt nur aus dem Gebrauch der Glieder zieht, ebenso ist er schweren Erkrankungen unterworfen, sobald er den Gebrauch seiner seelischen Kräfte entweder ganz außer Acht läßt oder nur einschränkt. Beinahe läßt es sich in eine mathematische Formel bringen: So viel Tätigkeit, so viel Freude! Der Mensch läßt lasse sich fahren, amüsieren, wo u. wie er wolle, u. dennoch verzieht sich die stärkste augenblickliche Exstase [sic] heute wie morgen, nur weil sie auf der Leistung der Pferde, des Kutschers sowie all derjenigen Personen beruht, die die Unterhaltung zu bereitet [recte bereiten] haben. Und schon am dritten Tage fragte klagt er: Wohin soll ich nun aber heute abends? Ich finde es so langweilig . . usw! Er steige aber nur einen Berg mühsam hinan u. erreiche den Gipfel, wie wird ihm da so wohl zu Mute, nachdem er die Leistung aus eigener Kraft vollbracht hat! Und gelänge es nur erst, den Menschen zu überzeugen, daß noch lohnender als der Weg zu den mit dem Blick erreichbaren Gipfeln der Weg in die Tiefe ist, so wäre freilich der Menschheit ein Paradies eröffnet. Wieviel wäre dann insbesondere für die Konzentration der Menschenseele gewonnen, wenn er sich zum Weg in die Tiefe entschlösse, denn ohne Zweifel erfordert die Tiefe gespanntere Kräfte als die Besteigung eines Gipfels; auch dauert jener Weg länger als dieser, was allein den Menschen wieder nötigt, sich mit nur wenigen Gegenständen aber tiefsinniger als mit Gipfeln zu befassen. Der Weg in die Tiefe nimmt immerhin so viel Zeit in Anspruch, daß der Mensch nicht noch zahllose andere {459} Ausflüge daneben machen kann, was ihn dann aber nur umsomehr beruhigt u. befestigt. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
October 6, 1916. Very warm, up to 15°; a cloudy but friendly sky!
— Mrs. Deutsch accompanies us only on the way to lunch; she explains that her health cure rules out heavily seasoned food, which one receives at the restaurant on meatless days; she offers us flour or millet, of course upon production of a flour coupon, and finally advises us to store up a great quantity of condensed milk. — — At the coffee house, we receive a telephone communication that we are expected by Wilhelm and Dodi at 118/6 Linke Wienzeile at 5:30. I confess that I was initially more disconcerted than delighted; it was after all the first time ever that Wilhelm, while spending in time in Vienna, granted me a rendezvous spontaneously. I imagined all manner of unhappy thoughts in various directions, for example concerning our mother, the discontinuation of the monthly subsistence from Mozio and much else. The meeting at 5:30 took shape all the more pleasantly; it brought us only delightful things. As Wilhelm had to go to Vöslau for a doctor's appointment, he and Dodi took the opportunity of staying in Vienna for a day and to bring with them what we wanted in the way of eggs and lace. Dodi told us, among other things, that Mama, having read out my letter, suddenly disappeared from the house, to the great consternation of everyone in the house; it turned out that she went on her own to Reichmann, a trip which could be described as unusually long and far for someone of her age, in order to ask the merchant to send eggs to Vienna for me. Dodi had to use all her persuasion and severity to give Mama complete assurance that she would in any event be sending me eggs. – We agreed to meet from 9 to 10 o'clock in one of the coffee houses at the Franz-Josef train station, where we were to collect the eggs. In the meantime, I gave Brünauer his lesson and Lie-Liechen returned home to prepare supper. *{457} Brünauer would be prepared to give Mrs. Deutsch chocolate and similar products, even at a cheaper price, if she for her part could manage to get her brother 1 to supply his factory workers with bread, of course on condition that their bread-card is stamped, whereby the workers would be spared the trouble of standing in line. — — After the lesson and supper, we went to the coffee house in question, where, besides Wilhelm and Dodi, we ultimately met Mr. de Majo and Mr. and Mrs. Grueber. Wilhelm brought the eggs from the hotel and gave them to us: 64 pieces! For Mr. De Majo he had a large piece of butter, about 2½ to 3 kilograms. Much insight into the practical matters of the business world, though a sealed book both to me and to Lie-Liechen, could nonetheless be gained on this occasion. Probably the most characteristic thing was the realization that the business people can themselves attribute the present situation as something provoked only by needless profiteering. Exactly the same evidently applies to the press, which daily speaks of the "venality of a certain paper" and always means some other paper and never its own. Mr. and Mrs. von Grueber were, and remained, a mystery to us; I had never heard that name, and their character and occupation were never given to us; and yet it seems that both, or at least woman, were often in Kautzen as guests, as conversely Dodi and Wilhelm stopped at their place in Vienna. Probably these are business relationships, for in this world of business people, business again proves thicker than blood! Very late, after 11 o'clock, we finally made our way home, unexpectedly laden with precious freight. Mr. De Majo accompanied us part of the way, and we were witnesses to a very laudable behavior on the part of this businessman: at the same time as we got on the train, a large family boarded it – a young mother with a very small child and two older children, and a young lady who may have been her husband's sister. Everything about them suggested that they had made a long journey, were very poor, and perhaps were refugees. Mr. De Majo immediately looked after them, asking about their origins and their destination; {458} he offered a great deal of useful information and made a gift of 4 Kronen to the poor people. It turns out that the family came from Westphalia and were going to Trifail (Styria). *The businessman's marriage office: it produces children and ships them out along business lines … *The main nourishment for the human soul is its own accomplishment; this alone brings joy and lasting effect. As the call for physical activity resides in the limbs of an organism, so the call for psychic activity resides similarly in its soul. And as a person will be constantly be out of humor and ill if he neglects the use of his limbs or stops using them altogether, since he conversely draws all his pleasures only from the use of his limbs, likewise he will be subjected to serious illnesses as soon as he either entirely neglects or curtails the use of his spiritual powers. One could almost apply a mathematical formula: so much activity, so much pleasure! A person may be driven, entertained, wherever and however he wishes; yet the strongest momentary elation will disappear that day or the next, merely because it is based on the work of the horses or the coachman, and all those persons who have prepared the entertainment. And already on the third day he will complain: ["]Where should I go tonight? I am so bored["] … and so on! But let him just climb up a mountain, with great effort, and reach the summit: how well he will feel then, having accomplished this by his own strength! And if one could only convince a person that the path to the depths is even more rewarding than the way to the accessible summits, with their panoramas, then of course a paradise would be disclosed to humanity. How much would then be gained by a human soul, especially for his powers of concentration, if he decided on the path to the depths; for without doubt the depths require more finely tuned powers than the ascent of a mountain top; that path also takes a longer time, requiring only a few implements but greater thoughtfulness. And the path to the depths requires so much time that a person cannot take countless other expeditions in addition, {459} but he will be all the more reassured and fortified by it. — *
© Translation William Drabkin. |
6. X. 16 Sehr warm, bis 15°; bedeckter aber freundlicher Himmel!
— Fr. Deutsch begleitet uns nur zu Tisch; sie erklärt, daß der ihrer Kur die stark gewürzten Speisen widerstreben, die man im Gasthaus an fleischlosen Tagen zu essen bekommt; bietet uns Mehl oder Grieß an, selbstverständlich gegen Mehlkarte u. rät endlich recht viel kondensierte Milch aufzuhäufen. — — Im Caféhaus erreicht uns eine telephonische Verständigung, daß wir gegen ½6h von Wilhelm u. Dodi in der linken Wienzeile N.o 118 Thür 16 erwartet werden. Ich gestehe, daß ich davon zunächst mehr betroffen als erfreut war; war geschah es doch das erstemal überhaupt, daß Wilhelm, in Wien weilend, spontan ein Widersehen mit mir herbeigeführt hat. Ich machte mir allerhand traurige Gedanken nach verschiedenen Richtungen hin, so z. B. wegen der Mutter, der Einstellung des Monatsgehaltes von Mošio u. dgl. m. Desto angenehmer gestaltete sich um ½6h die Begegnung, die durchwegs nur Erfreuliches brachte. Die Gelegenheit, daß Wilhelm wegen einer Arztenstellung [sic] nach Vöslau zu fahren hatte, nahmen er sowie u. Dodi wahr, um in Wien einen Tag zu bleiben u. mir meinem uns unseren W uünschen gemäß Eier u. Spitzen für Lie-Liechen mitzubringen. Dodi erzählte unter anderem, daß die Mama, nachdem ihr mein Brief vorgelesen worden, plötzlich aus dem Hause verschwand, zum großen Entsetzen aller Hausleute; es stellte sich dann heraus, daß sie allein zu Reichmanns gegangen, einen Weg, der für ihre hohen Jahre als ungewöhnlich lang u. weit zu bezeichnen ist, um den Kaufmann zu bitten, mir Eier nach Wien zu schicken. Dodi mußte alle Ueberzeugung u. Schärfe aufwenden, um der Mama die volle Sicherheit zu geben, daß sie mir ja ohnehin Eier schicken werde. – Es wurde für Abend zwischen 9–10h ein Rendezvous in einem an der Franz-Josef-Bahn gelegenem Caféhaus verabredet, wo wir die Eier abzuholen hatten. Inzwischen hielt ich die Stunde mit Brünauer ab u. Lie-Liechen kehrte heim. — , um das Abendessen zu bereiten. *{457} Brünauer wäre bereit, an Fr. Deutsch Chokolade u. ähnliche Waren sogar zu billigerem Preis abzugeben, wenn sie umgekehrt bei ihrem Bruder 1 durchsetzen könnte, wenn daß er an seine Fabrikarbeiter Brot, natürlich gegen Marke, liefer ne, u. so wodurch den Arbeitern das mühsame Anstellen erspare nt wollte bliebe. — — Nach der Stunde u. dem Abendessen fuhren wir in das uns bezeichnete Caféhaus, wo sich außer Wilhelm u. Dodi schließlich noch Demajo Herr de Majo u. Herr u. Frau von Grueber zusammentrafen. Wilhelm holte aus dem Hotel die Eier, die er uns übergab, 64 Stück! Für Herrn Demajo brachte er ein großes Stück Butter, etwa 2½–3kg. Manchen Einblick in die sowohl mir als Lie-Liechen denn doch ganz verborgenen Praktiken der Geschäftswelt konnten wir immerhin auch bei dieser Gelegenheit wieder machen. Am charakteristischsten war wohl die Wahrnehmung, daß die Kaufleute selbst den gegenwärtigen Zustand als nur durch überflüssigen Wucher hervorgerufen bezeichnen. Es ist auch damit offenbar genau so wie mit der Presse, die täglich von der „Käuflichkeit einer gewissen Presse“ spricht u. dabei immer nur eine andere als u. niemals sich selbst damit meint. Herr u. Frau v. Grueber waren u. blieben uns ein Rätsel; niemals hörte ich jenen Namen, Charakter u. Beschäftigung sind uns ebenfalls sowenig je nicht angeführt worden u. doch sch ieeinen sie beide oder mindestens die Frau öfter in Kautzen zu Gast zu sein, wie umgekehrt Dodi u. Wilhelm bei ihnen in Wien absteigen. Vermutlich sind es Geschäftsbeziehungen, denn in dieser Welt der Kaufleute erweist sich wiederum das Geschäft dicker als Blut! Recht spät, nach 11h, fuhren wir endlich heim, unerwartet mit kostbarer Fracht beladen. Mit uns fuhr noch Herr Demajo ein Stück Weges u. wir konnten Zeugen eines sehr lobenswerten Betragens d esieses Kaufmannes sein: Gleichzeitig mit uns stieg nämlich an der Bahn eine mehrköpfige Familie ein, eine junge Mutter mit einem ganz kleinen u. zwei größeren Kindern u. einem Mädchen, das vielleicht Schwester des Mannes war. Alles an ihnen verriet, daß sie eine weite Reise gemacht haben, sehr arm u. vielleicht Flüchtlinge waren: Herr Demajo hat sich sofort um die Familie bemüht, sie nach der Herkunft u. dem Rei- {458} seziel gefragt; er gab alle wünschenswerten Auskünfte u. schenkte den armen Leuten 4 Kronen. Es stellte sich heraus, daß die Familie aus Westphalen kam u. nach Trifa uil (Steiermark) gieng. *Ehekontor – de rs Kaufmann s; zeugt Kinder u. vertreibt sie auch nach kaufmännischen Prinzipen . . *Die Hauptnahrung für des Menschen Seele ist die eigene Leistung; sie allein bringt Freude u. nachhaltige Wirkung. Es Wie sich wie in den Gliedern des Organismus der Ruf nach physischer Betätigung birgt, ähnlich in der Seele ein Ruf nach psychischer. Und wie der Mensch dauernd in Mißstimmung u. Krankheit ger aäten würde, wenn er den Gebrauch seiner Glieder vernachlässige nt oder gar ganz einstelle nt wollte, während da er doch alle seine Freuden umgekehrt nur aus dem Gebrauch der Glieder zieht, ebenso ist er schweren Erkrankungen unterworfen, sobald er den Gebrauch seiner seelischen Kräfte entweder ganz außer Acht läßt oder nur einschränkt. Beinahe läßt es sich in eine mathematische Formel bringen: So viel Tätigkeit, so viel Freude! Der Mensch läßt lasse sich fahren, amüsieren, wo u. wie er wolle, u. dennoch verzieht sich die stärkste augenblickliche Exstase [sic] heute wie morgen, nur weil sie auf der Leistung der Pferde, des Kutschers sowie all derjenigen Personen beruht, die die Unterhaltung zu bereitet [recte bereiten] haben. Und schon am dritten Tage fragte klagt er: Wohin soll ich nun aber heute abends? Ich finde es so langweilig . . usw! Er steige aber nur einen Berg mühsam hinan u. erreiche den Gipfel, wie wird ihm da so wohl zu Mute, nachdem er die Leistung aus eigener Kraft vollbracht hat! Und gelänge es nur erst, den Menschen zu überzeugen, daß noch lohnender als der Weg zu den mit dem Blick erreichbaren Gipfeln der Weg in die Tiefe ist, so wäre freilich der Menschheit ein Paradies eröffnet. Wieviel wäre dann insbesondere für die Konzentration der Menschenseele gewonnen, wenn er sich zum Weg in die Tiefe entschlösse, denn ohne Zweifel erfordert die Tiefe gespanntere Kräfte als die Besteigung eines Gipfels; auch dauert jener Weg länger als dieser, was allein den Menschen wieder nötigt, sich mit nur wenigen Gegenständen aber tiefsinniger als mit Gipfeln zu befassen. Der Weg in die Tiefe nimmt immerhin so viel Zeit in Anspruch, daß der Mensch nicht noch zahllose andere {459} Ausflüge daneben machen kann, was ihn dann aber nur umsomehr beruhigt u. befestigt. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
October 6, 1916. Very warm, up to 15°; a cloudy but friendly sky!
— Mrs. Deutsch accompanies us only on the way to lunch; she explains that her health cure rules out heavily seasoned food, which one receives at the restaurant on meatless days; she offers us flour or millet, of course upon production of a flour coupon, and finally advises us to store up a great quantity of condensed milk. — — At the coffee house, we receive a telephone communication that we are expected by Wilhelm and Dodi at 118/6 Linke Wienzeile at 5:30. I confess that I was initially more disconcerted than delighted; it was after all the first time ever that Wilhelm, while spending in time in Vienna, granted me a rendezvous spontaneously. I imagined all manner of unhappy thoughts in various directions, for example concerning our mother, the discontinuation of the monthly subsistence from Mozio and much else. The meeting at 5:30 took shape all the more pleasantly; it brought us only delightful things. As Wilhelm had to go to Vöslau for a doctor's appointment, he and Dodi took the opportunity of staying in Vienna for a day and to bring with them what we wanted in the way of eggs and lace. Dodi told us, among other things, that Mama, having read out my letter, suddenly disappeared from the house, to the great consternation of everyone in the house; it turned out that she went on her own to Reichmann, a trip which could be described as unusually long and far for someone of her age, in order to ask the merchant to send eggs to Vienna for me. Dodi had to use all her persuasion and severity to give Mama complete assurance that she would in any event be sending me eggs. – We agreed to meet from 9 to 10 o'clock in one of the coffee houses at the Franz-Josef train station, where we were to collect the eggs. In the meantime, I gave Brünauer his lesson and Lie-Liechen returned home to prepare supper. *{457} Brünauer would be prepared to give Mrs. Deutsch chocolate and similar products, even at a cheaper price, if she for her part could manage to get her brother 1 to supply his factory workers with bread, of course on condition that their bread-card is stamped, whereby the workers would be spared the trouble of standing in line. — — After the lesson and supper, we went to the coffee house in question, where, besides Wilhelm and Dodi, we ultimately met Mr. de Majo and Mr. and Mrs. Grueber. Wilhelm brought the eggs from the hotel and gave them to us: 64 pieces! For Mr. De Majo he had a large piece of butter, about 2½ to 3 kilograms. Much insight into the practical matters of the business world, though a sealed book both to me and to Lie-Liechen, could nonetheless be gained on this occasion. Probably the most characteristic thing was the realization that the business people can themselves attribute the present situation as something provoked only by needless profiteering. Exactly the same evidently applies to the press, which daily speaks of the "venality of a certain paper" and always means some other paper and never its own. Mr. and Mrs. von Grueber were, and remained, a mystery to us; I had never heard that name, and their character and occupation were never given to us; and yet it seems that both, or at least woman, were often in Kautzen as guests, as conversely Dodi and Wilhelm stopped at their place in Vienna. Probably these are business relationships, for in this world of business people, business again proves thicker than blood! Very late, after 11 o'clock, we finally made our way home, unexpectedly laden with precious freight. Mr. De Majo accompanied us part of the way, and we were witnesses to a very laudable behavior on the part of this businessman: at the same time as we got on the train, a large family boarded it – a young mother with a very small child and two older children, and a young lady who may have been her husband's sister. Everything about them suggested that they had made a long journey, were very poor, and perhaps were refugees. Mr. De Majo immediately looked after them, asking about their origins and their destination; {458} he offered a great deal of useful information and made a gift of 4 Kronen to the poor people. It turns out that the family came from Westphalia and were going to Trifail (Styria). *The businessman's marriage office: it produces children and ships them out along business lines … *The main nourishment for the human soul is its own accomplishment; this alone brings joy and lasting effect. As the call for physical activity resides in the limbs of an organism, so the call for psychic activity resides similarly in its soul. And as a person will be constantly be out of humor and ill if he neglects the use of his limbs or stops using them altogether, since he conversely draws all his pleasures only from the use of his limbs, likewise he will be subjected to serious illnesses as soon as he either entirely neglects or curtails the use of his spiritual powers. One could almost apply a mathematical formula: so much activity, so much pleasure! A person may be driven, entertained, wherever and however he wishes; yet the strongest momentary elation will disappear that day or the next, merely because it is based on the work of the horses or the coachman, and all those persons who have prepared the entertainment. And already on the third day he will complain: ["]Where should I go tonight? I am so bored["] … and so on! But let him just climb up a mountain, with great effort, and reach the summit: how well he will feel then, having accomplished this by his own strength! And if one could only convince a person that the path to the depths is even more rewarding than the way to the accessible summits, with their panoramas, then of course a paradise would be disclosed to humanity. How much would then be gained by a human soul, especially for his powers of concentration, if he decided on the path to the depths; for without doubt the depths require more finely tuned powers than the ascent of a mountain top; that path also takes a longer time, requiring only a few implements but greater thoughtfulness. And the path to the depths requires so much time that a person cannot take countless other expeditions in addition, {459} but he will be all the more reassured and fortified by it. — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Either Heinrich or Fritz Mendl. |